Rentiere sind das Symbol für Lappland. Heute habe ich von ihnen geträumt.
Der Himmel ist hier morgens pink, violett und blau. Das wenige Tageslicht kommt hervor und verzaubert uns Besucher jeden Tag neu.
Die nordicfamily befindet sich in Rantajärvi in einem kleinen Ferienhaus. Gemütlich beginnt jeder Tag mit einem Kaffee und einem Müsli bei Kerzenschein. Wenn es hell ist (nicht vor zehn), kann man mal einen Schritt vor die Tür wagen. Ansonsten begutachte ich das Farbspektakel vom Fenster aus.
Anders -unser Gastgeber- ist in der Gegend extrem gut vernetzt. Hier kennt nicht nur jeder jeden. Hier hilft und unterstützt man sich und kümmert sich darum, dass es allen gut geht. Das durften wir am Abend zuvor erleben, als Anders die ganze Gemeinde zu Hamburger und Musik ins Rantajärvi Vildmark Haupthaus geladen hatte. Heute hat er seine Kontakte genutzt und uns mit Marielle und ihren Rentieren verabredet.
Rentiere – das traditionelle Leben mit ihnen in Lappland
Mit dem Auto sind wir 10 Minuten im Dorf Mettajärvi, wo uns Marielle erwartet. Mit dicken Skihosen und Handschuhen nebst Mütze bekleidet springen die Kids schon erwartungsfroh aus dem Auto. Wir lieben Rentiere und Marielle will uns ihre Kultur und die Rentiere näher bringen. Sie wartet in ihrer Tracht schon am Zaun eines leeren Gatters und begrüßt uns. Die junge Frau empfängt hier seit einem Jahr Gäste mit ihrem Unternehmen the Rendeerherd , um ihnen einen kleinen Einblick in die samische Kultur und das Leben mit Rentieren zu geben.
Rentiere füttern
Neben ihr stehen schon große Eimer mit Flechten und Heu. Die Flechten finden die Rentiere auch im Winter in der Natur. Jetzt jedoch im Winter haben viele samische Familien ihre Tiere in Gehegen und füttern sie, um sicher zu gehen, dass sie auch gut versorgt sind.
Aufgrund des Klimawandels nämlich ging es den Rentieren in den letzten Jahren immer schlechter. Es gab immer mal wieder Tauperioden, in denen der Schnee schmolz und dann wieder fror. So wie heute Nacht, als ein Sturm bei +1 Grad den idyllischen Schnee von den Zweigen der Bäume wehte und -wenn auch nur für Stunden- ein leichtes Antauen des Schnees erzeugte. So bildete sich über den leckeren Flechten und Mosen eine Eisschicht und die Rentiere konnten sie weder riechen noch finden. Normalerweise würden sie mit ihrem Geweih im Schnee herumwühlen und ihre Nahrung finden. So aber gab es in dem unbeständigen Wetter weniger gutes Essen für sie.
Rentiere satt
Wir bekommen als nächstes alle einen Eimer mit Futter in die Hand gedrückt und betreten das Gatter. Wie auf ein Zeichen hin kommen aus dem Birkenhain, der das Gatter weitläufig umgibt, circa 25 Rentiere angelaufen. Wenig scheu umringen sie uns und lassen sich füttern und streicheln. Wir sollen darauf achten, dass die hungrigen Tiere nicht gleich aus dem Eimer fressen, sondern immer eine Portion aus unserer Hand. Das ist ein lustiges Gefühl. Außerdem entsteht manchmal ein bisschen Gerangel um die Leckereien. Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht mal ein Geweihende abbekommen.
Nach einer ganzen Weile haben sich die Tiere beruhigt, denn jedes hat etwas abbekommen. Sie werden wieder aus dem Gatter in das größere Gehege entlassen und knabbern dort gelassen an den Borkenrinden weiter.
Marielle erklärt uns unterdessen, wie im Frühling die Rentiere markiert werden. Sie erzählt, dass die Familien ihre Herden „einsammeln“ – das Geschieht meist mit Hubschraubern oder Schneemobilen. Alle Jungtiere bekommen ein bestimmtes Zeichen ins Ohr geschnitzt. Marielle erklärt genau, wie unterschiedlich die Zeichen sind und dass man sie so eindeutig den Besitzern zuordnen kann.
Jedes Rentier hat einen Besitzer
Einige ihrer Rentiere zeigen noch andere „Markierungen“. Einige Halsbänder zeigen an, welche Weibchen trächtig sind, andere haben einen Farbklecks im Fell, der zeigt, dass diese Tiere geimpft wurden. Einige wenige haben einen GPS Peilsender, damit man die Herde leichter wieder findet. Sie erzählt auch, dass in den alte Zeiten (ohne GPS) die Sami-ältesten einfach wussten (aus Erfahrung) wann sich welche Herde wo aufhielt.
Sie hat viel Arbeit mit den Rentieren, aber das ist das Leben, dass sie kennt und mag. Sie ist erst Mitte zwanzig, aber ihre Erfahrung gilt hier etwas und macht sie zur zentrale Ansprechpartnerin -stellvertretend für alle samischen Familien in der Region- für andere schwedische Mitbürger, wenn es Probleme oder Fragen zu den Rentieren gibt. Sie muss auch Konflikte lösen, wenn beispielsweise die freilaufenden Tiere im Garten von jemand anderen stehen und die Erdbeerpflanzen abnagen.
Lassowerfen – Rentiere aufgepasst! Morten kommt
Als nächstes erklärt uns Marielle geduldig das Lassowerfen. Mit Lassos werden die Tiere gefangen, damit man sie markieren kann. Für uns hat sie ein einfaches Modell ins Gehege gestellt, was nicht weglaufen kann. Das pinke Lasso wickelt sie gekonnt ein und überreicht es Morten, der sogleich mit einem gekonnten Wurf, das Geweih des Mustertieres trifft. Rentier gefangen und die Freude über den Erfolg wandelt sich in Erstaunen, als alle feststellen, dass Morten es geschafft hat, den Schlaufenring (ein relativ kleines Gummiteil) exakt in das Geweih einzufädeln. Marielle sagt, dass hätte nun wirklich noch keiner geschafft. Morten ist für den Rest des Tages der Lassoheld und mächtig stolz. Dann darf jeder es mal probieren und ist meist aber weniger erfolgreich.
Vom Leben mit den Rentieren und der Natur
Im Hintergrund steigt Rauch aus einem Lavvoo auf. Die typischen samischen Zelte haben wir schon des öfteren in Schwedisch Lappland gesehen. Marielle lädt uns ein, am Feuer, das in der Mitte brennt, Platz zu nehmen. Wer wo am Feuer im Lavvoo sitzt ist in der samischen Kultur klar und streng geregelt und auch wenn es heute etwas lockerer genommen wird, steht der Platz rechts neben dem Feuer und gegenüber des Eingangs klar Marielle zu. Wir waren schon das ein oder anderem Mal mit Samen im Zelt und obwohl ich mich nicht erinnere, dass es explizit erwähnt wurde, bin ich sicher, dass das jedes Mal genauso war.
Zeltetikette im Lavvoo
Man sollte also auf Zeltetiquette achten. Uns jedenfalls brennen erstmal unsere Augen und Tränen kullern übers Gesicht, denn der Rauch ist etwas ungewohnt. Wir setzten uns auf die gemütlichen und isolierenden Rentierfelle. Unter ihnen befindet sich Birkenreisig. Diese Kombination schützt prächtig vor der Kälte und ist wunderbar weich.
Marielle erzählt von ihren Vorfahren während sie flaches helles Brot in einer langstieligen Pfanne bäckt. Es heißt Gáhkku und schmeckt warm mit Butter einfach wunderbar. Dazu trinken wir aus einer Kasa, der kleinen runden Tasse warmen Saft und starken schwarzen Kaffee.
Ich ziehe meine schweren Winterstiefel aus und wärme meine Füße am Feuer.
Geschichte und Geschichten im Lavvoo
Marielle erzählt von schwierigen Zeit in den letzen hundert Jahren. Es ist nicht leicht für das indigene Volk, die Sprache, Traditionen und Rituale zu erhalten. Die gesamte Gegend wurde zwangschristianisiert und so galten traditionelle Gesänge oder andere Traditionen als Sünde. Ihren Großeltern waren Traditionen wie Joiken (der Kehlgesang der Samen) sogar ausgesprochen peinlich. Auch der Umgang der Schweden und des schwedischen Staates mit den Samen und ihrer Kultur scheint in der Vergangenheit wenig tolerant gewesen zu sein. Hier scheint ein Prozess des Wandels in Gang gekommen zu sein, der allerdings bei Weitem noch nicht abgeschlossen scheint. Unser Nachfragen wird vorsichtiger, denn wir merken, wie sensibel dieser Bereich ist. Obwohl die junge Frau mit ihrer stolzen Tracht, den Gästen ihre Traditionen näher bringt, gibt es tief verwurzelten Schmerz auch aus vorherigen Generationen.
Ich frage mich dann immer, was wir als Gäste dazu beitragen können, dass die Traditionen nicht verloren gehen. Wir können es zu Hause den Menschen erzählen und andere Menschen neugierig machen, auch hierher zu kommen und das Leben besonders im Winter kennen zu lernen.
Alles gar nicht so einfach – auch in Schweden
Die Samen sind ein Volk, das eng mit der Natur lebt. Sie sind von den Bedingungen hier unmittelbar abhängig. Ihre Traditionen und das Halten von Rentieren geht nur in einer intakten zum größten Teil unkultivierten Natur. Das Thema des unterirdischen und überirdischen Bergbaus (und den damit gutbezahlten und wichtigen Arbeitsplätzen), interferiert oft mit dem Leben der Samen und es müssen immer wieder Wege gefunden werden, wie diese beiden Interessen nebeneinander existieren können. Das haben wir auch schon in Kiruna und Umgebung erfahren. Doch hier im Tornedalen scheint jede Politik weit weg und unsere Gastgeberin ist keine Politikerin. Sie vermittelt und pflegt das unmittelbare Zusammenleben der Menschen hier in ihrer Umgebung.
Wieder zurück in der Zivilisation
Nach über zwei Stunden sind wir ganz angefüllt mit Eindrücken und Geschichten aus Marielles Leben. Wir haben ein authentisches Bild von der lebendigen Kultur der Samen bekommen und Erinnerungen, die wir nach Hause transportieren.
In unserer kleinen Ferienhütte schauen wir auch sogleich nochmal Bilder an, die aus einem Sommer am Akkhajaure stammen und erinnern uns an die Begegnungen mit den Samen in diesem Jahr.
In unserer Hütte in Rantajärvi trinken wir einen gemütlichen Kaffee, essen Zimtschnecken und entspannen, bevor wir zum Abendessen in der Rolf Stugan geladen werden . Heute gibt es Hühnchen und wir haben einen Bärenhunger von dem intensiven Tag.
Wi trinken wir einen gemütlichen Kaffee, essen Zimtschnecken und entspannen bevor wir zum Abendessen in der Rolf Stugan geladen werden . Heute gibt es Hühnchen und wir haben einen Bärenhunger von dem intensiven Tag.
Die große „Rolf“ Hütte bietet hier mindestens 16 Personen in Doppelzimmern Platz, es gibt einen Gemeinschaftsraum mit Küche und mehrere Bäder. Das wäre zum Beispiel eine Hütte, wo man mal mit Großfamilie Urlaub machen könnte.
Der große Flachbildfernseher in der Hütte bietet uns auch genügend Unterhaltung um den Familienabend gemeinsam ausklingen zu lassen. Welch Kontrast zu dem zu unserem Tag in der Natur im Herzen Lapplands.